MUSCHELN FÜHLEN

Die neue Flagge ist vor dem Kapitänshaus gehisst und begrüßt mich morgens in der Früh, Sterne am Himmel und eine schmale Mondsichel. Wie schön ist das: Die riesigen Muscheln flattern im Wind, und ich werde vom Universum umhüllt. – Ach, lasst mich ein wenig kitschig sein und romantisch und prosaisch, das fehlt uns viel zu oft im Alltag. Ich fotografiere also die Fahne von rechts und von links, warte, bis der Ostwind sie wieder entfaltet, gehe barfuß im feuchten Gras und mache das nächste Bild. Kick! Das Motiv ist aus dem graphischen Werk von Alexander von Humboldt ((1769 – 1859) und beschreibt meine neue Kollektion: „Muscheln fühlen“. Die Atelierchefin schneidet die ersten Modelle zu.

Großformatig sind die Miesmuscheln über die ganze Stoffbreite verteilt, der Untergrund ist beige wie bei dem Kupferstich von Humboldt und ähnlich der aktuellen Trendfarbe “Nude Wool”. Passend dazu gibt es den Futterstoff, den schon die dunkelblaue Fellweste ziert. Bedruckt wurde alles in Oberitalien. Zusammen mit der Fahne sind auch die Kärtchen endlich fertig, die an die Modelle gehören. Sie sind zu einem unverzichtbaren Teil meiner Kollektionen geworden. Eine Freundin sammelt sie und klebt sie auf ihre Tagebücher, andere verwenden sie als Lesezeichen. Der Text auf der Rückseite greift eines unserer wesentlichen Bedürfnisse und zugleich Versäumnisse auf. Es beginnt mit einem Zitat: “Natur muss gefühlt werden”, von Alexander von Humboldt, der als Reisender, Beobachter und Wissenschaftler erkannte, was indigene Völker schon immer wussten: Es gibt ein Netz der Beziehungen und Abhängigkeiten, das unsere Erde ausmacht. Nichts darf einzeln betrachtet werden, nichts darf fehlen, nichts aus dem Gleichgewicht geraten, alles gehört zusammen. “Unser Leben besitzt viele Anfänge und genauso viele lose Enden. Die Zeit ist geprägt von allgegenwärtiger Unsicherheit und Ungewissheit. Wir entfernen uns ständig weiter von der Natur und von uns selbst. Wer dagegen den Sand unter den Füßen spürt, den Wind, wie er über die Haut streicht, der ist verbunden mit sich und allem. Stellenvertretend dafür stehen die Muscheln … ” (Auszug aus „Muscheln fühlen“) Birgit Gräfin Tyszkiewicz