Der Oldtimer der Mode
Mode besitzt unterschiedliche Halbwertszeiten. Die sogenannte »Fast Fashion«, die schnell und in Massen in Billigländern unter meist fragwürdigen Umständen produziert wird, ist genauso »fast« (schnell) wieder erledigt. Sie landet erst in unserer Mülltonne, dann auf den Weltfriedhof der Überproduktion im Globalen Süden. Wir reden allein für Deutschland von jährlich Milliarden (!) von Kleidungsstücken. Denken wir aber an unsere Lieblingsteile, die uns begleitet haben, an die sich Erinnerung knüpfen wie: habe ich getragen zu meiner Prüfung, meinem ersten Date, jeden Tag am Schreibtisch … Die würden wir nie wegschmeißen, sondern eher bedauern und betrauern, wenn die Zeit oder die Motten sie zerlegt haben. Erst letztens fand ich bei meiner Tochter Toska in ihrem Schrank so einen Pullover, den ich trug, als sie noch Baby war. Dort müssen wir in der Mode wieder hinkommen: Lieblingsstücke.
Und dann gibt es Teile, die landen im Kreislauf, weil man sich verkauft hat oder sie nicht mehr passen, oder oder. Das ist nachhaltig, denn sie leben länger, wenn auch an einer anderen Person. Ich habe solche Pradas und Brunello Cucinelli Pullover in meinem Geschäft, die Missioni Strickjacke oder den Allude Cashmere Pullover. Auch Taschen wandern regelmäßig von einer Besitzerin zur anderen. Manche davon sind »most wanted«, wie es so schön neudeutsch heißt: die Kelly Bag von Hermès oder die kleine Fendi Baguette. Kennerinnen wissen alles darüber, welches Leder, welches Jahr, welche Farbe und manchmal sogar, auf welcher Modenschau sie gesichtet wurde. Auch damit füllt sich mein Regal im Kapitänshaus.
Die geliebten Oldtimer in der Mode sind jedoch die Vintage-Teile. Sie müssen mindestens 20 Jahre alt sein und besitzen die Signatur eines berühmten Couture Hauses wie Yves Saint Laurent, Ungaro, Lanvin oder Chanel. Sie sind begehrte Sammlerobjekte geworden quer durch alle Generationen. Selbst die jungen Fashionistas sehen hier eine Möglichkeit, spielerisch ihren eigenen Stil zu entwickeln. Zeitlose Klassiker oder exzentrische Statements. Meine Töchter tragen sie und ich trage sie ebenso.
In dieser Woche habe ich eine Kleiderstange gehängt mit eben diesen Stücken. Auch Dior ist dabei, eine Bluse von Missioni, ein Rock von Prada, Dries van Noten. Eine Tasche von Celine, die die Spuren der Jahre zeigt. Hier kann jeder fündig werden und Mode wieder zu etwas Persönlichem werden lassen. Wer fährt nicht gern in einen Oldtimer über die Insel und genießt, wenn einen die Blicke an der Straße verfolgen. Genauso ist es mit Vintage. Der Chanel Pullover aus der Métier d’Art Kollektion von Karl Lagerfeld, die er 2017 in der Elbphilharmonie zeigte. Ein Hingucker! Ich könnte zu jedem Teil eine Geschichte erzählen. Auch darum geht es.
Birgit Gräfin Tyszkiewicz


