Stiefmütterchen gesucht
Das große Wimmelsuchspiel hat begonnen: wer findet im Dickicht der Themen und Verwirrungen der Gegenwart die einst strahlende Pracht Sylts und bringt sie zurück? Lebendig! Stiefmütterchen, Primeln, Bodendecker, Rhododendren und alles was blumige Freude bereitet. Denn wenn die Erholungssuchenden das Flugzeug oder Haus verlassen, müssen Sie kurz räsonieren: sind wir in den falschen Flieger in den Donbass gestiegen oder ins mondäne Sylt? Überall, wo man hinblickt, Verkehrsinseln in einem Zustand, der eher an surrealistische Kunst als an infrastrukturelle Sorgfalt und gärtnerischen Anspruch einer Urlaubsinsel erinnert. Ebenso enttäuschend sind die Blumenbeete in den Inselorten: einst liebevoll gepflegt, heute verwandelt in groteske Unkrautinseln oder Geröllhöllen, die etwas vom allgemeinen Verfall der Gemeinde und des Landes verkünden.

Doch wie kommt es, dass solch offensichtliche Missstände scheinbar unbeachtet bleiben? Mangelt es der Insel an Optikergeschäften? Sind die Brillenputztücher im Fachhandel vergriffen? Oder fehlt es schlicht überhaupt an der Einsicht, dass eine Sehhilfe von Nöten ist? Oder wird der Missstand gesehen, aber man hat sich daran gewöhnt und stört sich nicht mehr?
In jedem Falle geschieht nicht genug an der Blumenfront. Bislang nicht! Wird der Bauhof endlich von der Kette gelassen? Gründet die Gemeinde gar wieder eine eigene Stadtgärtnerei?
Der Normalsterbliche fragt sich was genau denn so schwer daran sein kann, die Gemeinde in einen Zustand zu versetzen, der sowohl den Syltern als auch den Gästen ein Lächeln ins Gesicht zaubert – so wie es vor nicht allzu langer Zeit der Fall war? Es erscheint fast unbegreiflich, dass trotz rekordverdächtiger Steuereinnahmen der letzten Jahre, der Glanz vergangener Tage nicht wiederhergestellt werden kann.
Die Krönung der Absurdität liefert der örtliche Unternehmerverein. Mit einer humorvoll überzogenen Plakatkampagne – „Ein Leben ohne Blumen ist möglich. Aber sinnlos.“ – macht er nicht nur auf die missliche Lage aufmerksam, sondern bietet auch aktive Unterstützung der Mitgliedsunternehmen an. Ein Zeichen dafür, dass es langsam peinlich wird, wenn nur schon der Unternehmergeist zur Auffanghilfe für politisches Versagen bei der Erledigung der grundlegenden kommunalen Aufgaben herangezogen werden muss.
Die elementaren Fragen des Sylter Lebens bleiben also: wird es die Gemeinde schaffen die Insel zum Strahlen zu bringen, bevor die Saison anbricht? Wird der neue Bürgermeister (m/w/d) das pflanzliche Ruder rumreißen? Und wann wird bei Manne Pahl endlich wieder Milchreiskuchen geben?
Rückwärts nimmer, vorwärts immer! Sylt oder Sansibar –
Hauptsache Urlaub!
Die Redaktion weist darauf hin, dass es eine Leser-Kolumne (Satire) ist und der Inhalt die Ansicht des Einsenders wiedergibt.