Frühlingserwachen

Bereits Goethe, der alte Wahl-Ossi, wusste um den Zauber jener Jahreszeit, die zur Stunde die Seelen von Jung und Alt umgarnt: »Wie herrlich leuchtet – Mir die Natur! – Wie glänzt die Sonne – Wie lacht die Flur!«

Von einem Tag auf den anderen wandelte sich die Tristesse in spürbar längere Tage mit frohlockender Abendröte und klarem Sternenhimmel. Die Temperaturen gaben den Sprung vor, den die Herzen der Menschen, aus dem schier ewigwährenden Wintergrau kommend, machen sollten.

Auf den Weiden und Koppeln häufen sich die natursprünglichen Vorgänge. Ob dies auch auf die Aktivitäten in den menschlichen Behausungen rückschließen lässt? Die Hebammen werden es uns im Winter verraten können.

Im Baumarkt jedenfalls führen die Frühlingsgefühle zu energetischen Shoppingszenen. Hier gilt das Motto: breiter, heißer, Sizzle-Zone. Wirtschaftskrise hin, Wirtschaftskrise her. Die Investition in einen Grill für Preise knapp unterm Temu-Einfamilienhaus spart doch förmlich Geld, zumal man dann das Discounterfleisch (ca. 4 Euro/Tonne) gekonnt veredeln und den teuren Restaurantbesuch umgehen kann.

Die feminine Antwort auf diesen maskulinen Lenzenmut ist tendenziell eher Beklemmung und Tunnelblick bei dem Gedanken an eine erneute Steigerung der Grillfrequenz.

In den finanziell besser gestellten Bezirken der Insel erleben auch die Edelmetzger und Lebensmitteleinzel-Apotheker Kraftschübe, wenn der Mann in seinem ausgemotteten 911er-Cabrio mit Saisonkennzeichen vorfährt und endgereiftes amerikanisches Filet vom eineiigen Präriemammut bestellt für das alternativlose Grillvergnügen bei abendlichen Temperaturen um 5 Grad. Aus dem Angebot versteht sich – für nur 109 statt 139 Euro/Feinunze.

Einfach Herrlich! Die Insel ist und bleibt der lebenswerteste Ort in diesem Ländle. Die Terrassen der Restaurants sind prallgefüllt. Und da sitzen sie nun. Zwischen Rollkragen, Funktionsjacke und ersten knallbunten dreiviertel Hosen (die Wahl wird spätestens nach zehn Minuten auf der kalten Terrasse bereut in der Regel) wird zunächst der Roséwein (Sommerlaune) und danach Lumumba (Nordseerealität) bestellt.

Der Textilhandel profitiert (hoffentlich!). Der Winter war lange. Die Kassen brauchen auch Frühlingsgefühle. Und die werden sie auch bekommen!

Fehlt nur noch, dass es Vernunft in die Köpfen im Reichstag sprießt. Denn auch Deutschland braucht dringend ein Frühlingserwachen…

Rückwärts nimmer, vorwärts immer!

Sylt oder Sansibar – Hauptsache Urlaub!

Die Redaktion weist darauf hin, dass es eine Leser-Kolumne (Satire) ist und der Inhalt die Ansicht des Einsenders wiedergibt.