»Blick auf die große Lister Wanderdüne«
Am 25. Januar 2025 verstarb der Wenningstedter Maler Harry Lindegaard. Noch kurz vor seinem Tod staunte er nicht schlecht, als ihm gegen Ende 2024 ein von ihm im Jahre 1971 gemaltes Ölgemälde von einem Sylter vorgelegt wurde, der das Bild vorher durch Zufall auf einem Flohmarkt in München entdeckt und erstanden hatte.

Harry Lindegaard mit seinem Gemälde »Blick auf die große Lister Wanderdüne«
Harry Lindegaards Sehvermögen war seit Jahrzehnten stark eingeschränkt. Er führte das Bild ganz dicht an seine Augen und meinte freudig erregt nach eingehender Prüfung: »Ja, das ist die große Lister Wanderdüne! Das Bild hab‘ ich vor vielen Jahren mal gepinselt. Das ist wirklich eine Überraschung, denn dass es mir noch einmal über den Weg läuft, hätte ich nie und nimmer für möglich gehalten!«
Eigentlich ist der gebürtige Wenningstedter, der noch am 15. Mai 2024 seinen 93. Geburtstag gefeiert hatte, gar kein Maler, sondern gelernter Tischler. Diesen Beruf übte er 40 Jahre lang aus. Aber seine große Leidenschaft war das Zeichnen und Malen. Schon in seiner frühesten Jugend fühlte er sich dazu hingezogen. Vielen Malern, die mit Pinsel und Palette seine schöne Heimat Sylt auf ihre Leinwand brachten, schaute er über die Schulter. Sein großes Vorbild fand er in dem Tinnumer Maler Günther Petersen (1920 – 2014), der ihm mit Rat und Tat zur Seite stand. Eine jahrzehntelange Freundschaft verband ihn mit dem großen Kampener Künstler Siegward Sprotte (1913 – 2004).
Preisgekrönt – Harry Lindegaards »Friesenhäuser in Kampen«
Alle seine Ölbilder malte Lindegaard nur mit halber Sehkraft, denn bereits als Zwölfjähriger verlor er am Strand von Wenningstedt ein Auge. Jungens vom Hamburger Kinderheim hatten ihn mit Steinen beworfen. Nach 40 Jahren gab Lindegaard seinen Tischlerberuf auf und widmete sich nur noch der Malerei. Nebenher säuberte, restaurierte und rahmte er auch noch Kunstwerke von anderen Malern. Hauptsächlich waren Kurgäste seine Kunden. Sie hatten den Geheimtipp bekommen: »Wenn sie ein Andenken von der Insel aus ihrem Urlaub mitnehmen wollen, dann schauen sie doch einfach mal im Friesenweg in Wenningstedt bei Harry Lindegaard vorbei. Bei ihm finden sie schöne Sylt-Motive!« Auf diese Weise gelangte das nun wiederentdeckte Gemälde wohl auch nach München, das nach 53 Jahren auf die Insel und somit zu seinem Entstehungsort zurückgekehrt ist. Harry Lindegaard machte nie viel Wind um seine Person und blieb stets bescheiden. Nur einmal nahm er in den 1960er Jahren an einem Wettbewerb teil, den das Husumer Nissenhaus ausgeschrieben hatte. Ein Bild von einem Friesenhaus in Kampen neben dem »Ziegenstall« der berühmten Tänzerin Valeska Gert wurde unter 68 Einsendungen mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Darauf war Harry Lindegaard immer sehr stolz, und es hing bis zu seinem letzten Atemzug über seinem Bett im Zimmer des DRK-Pflegeheims in Westerland.
Hans-Peter Kruse