»Bunte Insel an der Marschbahn mit viel Schaum«

O Du schöne Marschbahn! Im aktuellen Geo-Ranking wurde sie als eine der schönsten Bahnstrecken des Universums gekürt – diese landschaftliche Pracht wird sicher helfen, die nahende drölfstündige Verspätung mit ganz neuen Augen zu sehen. Wenn der Zug kurz vor einem der epillepsiefördernden Windparks vor einer Weiche oder einem Lokschaden oder einem der anderen mannigfaltigen Bahnproblemen zum Stehen kommt, lächelt man einfach und sagt zu sich selbst: mehr Zeit für die schöne Marschbahn. Da sitzt man dann mit dem Blick auf schwindelerregende Rotoren fest und hofft, dass nach dem drohenden Radbruch nicht noch irgendeine Weiche bei plus 16 Grad Celsius einfrieren könnte, damit der schöne Augenblick noch etwas anhält.

»Sylt bleibt bunt«. Einst war unsere Insel ein schillernder Papageienfelsen: unzählige Schwulenkneipen, schlüpferlose Begegnungszonen in den Dünen in denen es wahrlich bunt getrieben wurde, bunte Versace-Anzüge und ein unverfälschter, frivol-bunter Charme, der niemanden störte – im Gegenteil, er brachte der Insel das gewisse Etwas, einen weltoffenen Esprit. Heutzutage aber zählt mehr die große Geste, als das gelebte Ganze. Sichtbar einstehen für etwas, das gar nicht so recht in Gefahr scheint (außer durch grün-angehauchten Dünenschutz). Der authentische Charme ist vorerst dahin – vielleicht bekommen wir ihn zurück, wenn wir wirklich wieder etwas bunter werden?

Und was war noch? Na klar, der Schaum! Nicht vom Schampus, sondern der arg belastete Schaum am Strand. Vor 30 Jahren tranken Kinder den Schaum förmlich beim Baden, als wäre er frisch gezapft – ein süßer Genuss, der das maritime Erlebnis abrundete. Gleichzeitig entlud jedes vorbeifahrende Schiff gefühlt Nuklearschlacke ins Meer, während Schweröltanks vor den Stränden gereinigt wurden. Heute wird in hitziger Diskussion jeder Grenzwert weiter herabgesetzt, bis man demnächst vor einer Salzvergiftung in der Nordsee gewarnt wird. Aber – wie so oft – lassen sich die Inselbewohner und ihre Gäste nicht beirren: Trotz aller alarmierenden Zahlen und pessimistischen Prognosen gehen wir weiterhin gerne ins Meer und genießen den salzigen und wissenschaftlich belasteten Schaum, der uns an vergangene Zeiten erinnert.

Denn trotz der Verspätungen, den plump-bunten Gesten und des belasteten Schaums bleibt Sylt ein Ort, an dem man das Unkonventionelle feiert – ein Inselparadox, das uns täglich aufs Neue in Inselliebe verfallen lässt.

Rückwärts nimmer, vorwärts immer!

Sylt oder Sansibar – Hauptsache Urlaub!

Die Redaktion weist darauf hin, dass es eine Leser-Kolumne (Satire) ist und der Inhalt die Ansicht des Einsenders wiedergibt.