Noch ein Sekt, Herr Elefant?

Sylt. Das Kronjuwel des deutschen Jetsets. Neujahrsempfang. Fast alle da. Bürgermeister, Lokalpolitiker, Wirtschaftsgrößen, Bürger. Man nickt sich zu, prostet sich zu, beißt ins Häppchen. Sektgläser klirren, während draußen der Wind die Gischt an die Dünen peitscht und der blanke Hans den Sand abtreibt. Der Sand auf dem das Schloss stolz steht?

Ein Elefant ist auch da. Nur sprichwörtlich natürlich. Steht mitten im Raum. Im Matrosenanzug, versteht sich. Und dann die Frage: »Was trinken Sie, Herr Elefant?« Der Elefant grient. »Am liebsten die ungeschminkte Wahrheit.« Pause. Betretenes Schweigen. Die ungeschminkte Wahrheit? Also bitte, Sie Pflegel! Die mag hier nun wirklich niemand!

Denn diese Wahrheit ist unbequem. Sie riecht nach jahrzehntelangem Wildwuchs, nach Paragraphenakrobatik und der Lebenslüge einer Insel. Sie spricht von Wenningstedt, von Morsum, vom nördlichen Westerland. Rund 85 bis 90 Prozent der Ferienwohnungen dort – nicht genehmigt. Illegal. Einfach so. Oooops.

Wie kann das sein? Niemand weiß es genau. Oder doch? Wer will schon Finger in Wunden legen? Die Wahrheit bleibt besser im Elefantenbauch. Man könnte ja die Stimmung verderben.

Denn Sylt ist immerhin bald wie Berlin. Nur mit Strand und ohne Clubs. Arm und unsexy, könnte man sagen. Aber solange der Sekt fließt und die Häppchen den Kropf füllen, merkt es doch wohl keiner, oder? Häppchen und Sekt. Fürs Volk. Für die Gäste. Für alle.

Vielleicht ist das der neue Zeitgeist. Reden, ohne etwas zu sagen. Glänzen, ohne zu leuchten. Die Insel bleibt ein Paradies – für Politiker mit rhetorischem Sonnenbrand. Und die anderen? Die dürfen weiter Ferienwohnungen buchen, die eigentlich gar nicht existieren. Merkt hoffentlich auch keiner.

Herr Elefant, noch ein Glas Wahrheit? Ach nein, Entschuldigung. Der ist ja schon wieder gegangen. Vielleicht sitzt er jetzt in Berlin und erklärt, dass endlich bald ein Ort noch ärmer dran ist, als Berlin selbst.

 

Rückwärts nimmer, vorwärts immer!

Sylt oder Sansibar – Hauptsache Urlaub!

Die Redaktion weist darauf hin, dass es eine Leser-Kolumne ist und der Inhalt die Ansicht des Einsenders wiedergibt.