SEPTEMBER-DUFT
Zusammen mit Johannes King, dem Sternekoch, fahre ich über die Insel. Er zeigt mir die Salzwiesen mit Strandastern, Strandwermut, Wegerich und Dreizack. Es ist noch früh am Morgen, gemeinsam haben wir am Abend eine kleine Veranstaltung dazu. Weiter geht es durch das noch schlafende Morsum, durch die Felder. Es ist das andere Sylt. Er würde den September lieben, erzählt er mir. Ich antworte: Dieser Monat ist nie leicht für mich. Wenn der Sommer in den Herbst übergeht, macht sich eine Melancholie in mir breit. Was war, was wird? Alles ist in einer merkwürdigen Schwebe, die den frühen Nebelschwaden über den Wiesen gleicht. Ich weiß es nicht, mag ich den September?
Das Wetter hat uns in den letzten Tagen ein einzigartiges Geschenk gemacht hier oben im Norden. Es ist warm mit dieser würzigen Feuchtigkeit. Alles duftet, wenn ich die Tür vom Kapitänshaus öffne und die Sonne gerade aufgeht. Schön ist es, vergänglich, zart, ein Hauch von Abschied. Wir kreativen Menschen brauchen diese Atmosphäre. Unsere Schöpfungen entstehen nicht aus einem berauschenden Hochgefühl heraus, sondern erst dann, wenn sich etwas auflöst, wenn es schwer wird. Joseph Beuys hat es in seinen Metamorphosen beschrieben. Ich denke an Johannes, für den der Spätsommer voller Aromen steckt, die er in Rezepturen umwandelt. Für mich werden Düfte zu Bildern und Stoffen. Hauchdünne Seide, bedruckt mit Brombeeren und friesischem Akanthus. Ich fange den Abend ein mit meinen Sinnen, wenn der Schäfer mit seiner Herde an mir vorbeizieht und grüßt mit seinem tiefen dänischen Akzent in den wenigen Sätzen, die wir auf Englisch miteinander wechseln.
Ich glaube, ich mag doch den September. Ein letztes Highlight hatten wir vor ein paar Tagen im Garten, im Strandkorb und auf den Stühlen und Bänken drumherum. Ein lauer Spätsommer-Abend. Die Freundin, Angela Hartwig, hat ein Buch geschrieben über ihre Urgroßmutter Lina Richter, eine bedeutende Frau im 1. Weltkrieg, die aus der zweiten Reihe heraus Geschichte mitgestaltete. Vergessen, wie so viele andere Frauen vor und nach ihr. Wir lauschen der Autorin, wie sie das Leben und die Wirren der europäischen Geschichte miteinander verwebt. Ein würdiger Ausklang eines langen Sommers, der irgendwie anders war. Ich werde darüber nachdenken, wenn ich über die Wiesen gehe, Brombeeren pflücke oder mich morgens mit dem Meer unterhalte. Sylt ist immer schön, aber im September liegt ein poetischer Zauber über der Insel.
Birgit Gräfin Tyszkiewicz