HERBSTANFANG AUF DER INSEL

Der September auf der Insel hat mich sanft darüber hinweggetröstet, dass wieder ein Sommer zu Ende geht. Warm war es und ist es immer noch, mit dieser Feuchtigkeit, die sich auf die Hortensien im Garten legt und in den Spinnennetzen über den Wiesen hängen bleibt. »Altweibersommer«, so nennt man diese milden Tage Ende September und Anfang Oktober. Als würden Frauen in der Landschaft sitzen, spinnen und ihre Garne zu Stoffen weben, die ihre Geschichten erzählen. »Storytelling« nennt man es modisch und so inflationär, dass es beinahe peinlich geworden ist, und dazu die ach so vielen Wörter mit ihren Superlativen. Still möchte man sein in dieser Zeit.

Dabei denke ich an ein Gedicht von Rainer Maria Rilke von 1899, das ich auf meiner alten Valentine Olivetti Schreibmaschine tippte: »Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort«, beginnt es. »Sie sprechen alles so deutlich aus …«, heißt es weiter, und »dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist der Beginn und das Ende ist dort…«. 

Wir sollten ein Experiment machen und neue Begriffe erfinden, ausprobieren wie sie klingen, mit schwebenden Akkorden wie in den Liedern von Joni Mitchell. Ich lausche meinem »herrrrlich« mit rollendem »R«, während ein Fitzelchen Blau am Himmel auftaucht. Dann muss ich lachen und finde es aberwitzig: »herrrrlich«. Nein, das klingt nicht gut. Ich probiere ein »zauberhaftverwunschengraublau« und amüsiere mich. Oder wie wäre einfach nur ein lautmalerischer Seufzer: »Aaach«. Wie schön, dass ich hier auf der Insel sein darf. 

Mir kommen Menschen entgegen, die ihre Hündchen ängstlich strangulieren und nicht grüßen. »Moin!« Und auf den Fahrrädern sitzen sie mit mürrischen Gesichtern unter dem Helm. Spinnennetze in der Heide sind nichts für sie. Sie suchen hektisch die Schilder nach links und rechts, fragen nach dem »Zentrum von Kampen« und eilen davon. »Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. Die Dinge singen hör ich so gern.« (Rilke)

Sylt im Herbst will inhaliert werden, mit allen Sinnen gefühlt. Wir dürfen uns ein wenig verströmen, als hätte man uns eine Zwischenzeit geschenkt. Noch sind es die Tage, in denen Einsamkeit nicht wehtut, sondern ein Genuss ist. Ich bin kreativ und entwickele neue Motive und Stoffe. Wer Lust hat, darf gerne in meine Skizzenbücher schauen. Wir sehen uns im Kapitänshaus!

Birgit Gräfin Tyszkiewicz