EINE GEGENWELT

Meine kleine Kolumne soll immer einen Gedankenanstoß geben, eine Welt in der Nussschale beschreiben, und manchmal geht es auch um eine Gegenwelt. Vor ein paar Tagen besprühten Anhänger der Letzten Generation u.a. das Luxus-Geschäft von Michael Meyer am Strönwai in Kampen auf Sylt. Selbst nach drei Tagen ist noch orangene Farbe überall. Es sieht aus wie auf einer Kunstaktion der Art Basel. Ist es aber nicht. Die Empörung ist aller Ortens zu hören und zu lesen. Ich schließe mich dem an, male mir aufgebracht aus, wie ich einschreite, wenn es vor unserer Haustür stattfinden sollte, das alte Kapitänshaus, der Strandkorb davor, eine Attacke auf meine (Luxus-)Idylle.

Beim Abendessen im Garten wird die Diskussion zwischen mir und meinem Mann darüber hitzig. Krzysztof Graf Tyszkiewicz gehört zur Generation der 68er, sah zu, wie sie in Paris die Fensterscheiben einwarfen, hörte begeistert die Reden von Daniel Cohn-Bendit. Irgendwann brannten Kaufhäuser und schließlich starben Menschen. Es eskalierte täglich und schuf doch unsere moderne Republik. 55 Jahre ist es her. Wir beide kommen nicht weiter, keiner hört mehr auf den anderen. Ich werde laut, spreche von einem fehlenden intellektuellen Diskurs. Sehe überall nur den Schaden an Objekten, an Menschen und vor allem an dem notwendigen Klima-Dialog. Mein Mann wiederholt mehrfach das Wort “Protest”. Ich solle über die Wut nachdenken und warum sie derart ausbricht. Will nicht denken, ich will kein Verständnis aufbringen. Bockig verkrieche ich mich in meiner Gegenwelt mit Blumen auf der Fensterbank, den gesammelten Muscheln, den vielen schönen Dingen, die mich umgeben. Meine Kollektionen sind nachhaltig und in kleiner Auflage produziert, Made in Germany. Mein Auge umkreist sie. Die Kunst an den Wänden von Claudia Rößger aus Leipzig, die Objekte von Klaus Dupont, hinter jeden Teil stehen Menschen mit Begabung und Leidenschaft. Mir fällt das Interview zwischen Margot Kässmann und Marie-Agnes Strack-Zimmermann in BUNTE Quarterly ein. Ernst und kontrovers wurde es geführt. Immer wieder die Theologin: Wir dürfen es uns nicht so leicht machen. Was ist passiert? Was haben wir übersehen? – Ich beginne mich zu belesen. Der Name der Klimaaktivisten wird mit einem Tweed von Barack Obama in Verbindung gebracht: “We are the first generation to feel the effect of climate change and the last generation who can do something about it.” (Barack Obama) Versunken schaue ich beim abendlichen Spaziergang über die schöne Landschaft mit dem Schäfer und seinen Schafen. Wie bekommen wir den Protest fruchtbar eingebunden in unserer bürgerlichen Mitte, damit wir alle gemeinsam an einer besseren Welt mitwirken können? Wie machen wir uns zu echten Zuhörern, die wirklich etwas verändern wollen, anstatt den Jüngeren den Mut zu nehmen, sich friedlich zu äußern? Wenn wir aus dem Diskurs aussteigen, werden wir noch schneller unsere Erde zerstören. Birgit Gräfin Tyszkiewicz