»Ausverkauf und Abriss stoppen – Inselleben erhalten!«

Über 500 Sylter
kamen zur Mahnwache
am Alten Gasthof in List 

 Der Abriss des historischen Alten Gasthofs in List am 30. Dezember 2022 hat zu einem Sturm der Empörung bei der Bevölkerung geführt. Wieder wurde ein Stück Sylter Geschichte und Dorfleben abgerissen. Das Ganze geschah zudem ohne Wissen oder Zustimmung der Gemeinde und laut Lister Bürgermeister, Ronald Benck, ohne Genehmigung. Das historische Reetdachhaus zählte zu den ältesten Gebäuden auf der Insel. 1650 wurden erste Teile erbaut und 1804 erfolgte die Gründung des Alten Gasthofs. 

»Der Alte Gasthof hatte viele Besitzer. Meine Frau Dagmar hat ihn 15 Jahre geführt, bis wir ihn 1991 an Christa und David Kaplan sowie Susanne und Manfred Koch verkauft haben. Sie haben das Zepter 2018 an Jörg Lindner und den 2020 verstorbenen Kai Richter von der 12.18 Group übergeben. Dann wechselte das historische Gebäude an Andreas Kammholz, der es am 30. Dezember ohne Genehmigung abreissen ließ«, erklärte Sylter Immobilienmakler Heinz Wieda. »Wir sind entsetzt und sauer.«

Vergangenen Sonntag haben die Grünen Insel Sylt gemeinsam mit dem Bürgerbündnis »Merret reicht’s«, SSW List und SSW Gemeinde Sylt, SPD Sylt und SPD List, CDU List, Die Insulaner sowie der Sölring Foriining zu einer Mahnwache unter dem Titel »Ausverkauf und Abriss stoppen – Inselleben erhalten!« aufgerufen. Vor der Ruine in der Alten Dorfstraße im Inselnorden kamen über 500 Insulaner*innen zusammen, um über die Bedeutung des Gasthofs für den Ort, aber auch die Stellvertreterrolle zu sprechen, die dieses Gebäude darstellt und welche politischen Konsequenzen nun endlich daraus folgen sollten.

»Bei aller Tragik, Wut und Empörung, die wir empfinden, ist der Alte Gasthof auch nur ein Puzzlestück in einer Reihe zerstörter und vernachlässigter Kulturgüter, Naturdenkmäler und sozialer Strukturen«, so Timm Kress, Grüne List, bei der Eröffnung der Mahnwache. Unter tosendem Applaus ergänzte Manfred Koch, ehemaliger Miteigentümer und Betreiber des Alten Gasthofs sowie Gemeinderatsmitglied SSW List: »Der Abriss ist ein Statement, von jemanden der uns sagt, ›Ihr könnt mich alle am Arsch lecken‹«. Wenn man so ein altes historisches Gebäude kauft, dann übernimmt man eine moralische Verantwortung, die man wahrnehmen muss. Ob das Haus unter Denkmalschutz steht oder nicht, darf dabei keine Rolle spielen. »Der ungeheuerliche Vorgang zeigt insbesondere eines: Der Besitzer fühlte sich in seinem Vorgehen sicher vor Konsequenzen. Anders lässt sich die Skrupellosigkeit schwerlich erklären. Das Gebäude war durch die Erhaltungssatzung geschützt. Weder lag hiervon eine Befreiung, noch eine Abrissgenehmigung vor. Beides war dem Besitzer sonnenklar. Das muss Konsequenzen haben, wenn das keine Schule machen soll«, sagte Molly Kiesewein, Mitglied der Lister Grünen. 

Ein fast 400 Jahre altes Haus in seiner ortsprägenden Funktion und Geschichtsträchtigkeit ist für List und die gesamte Insel ein unwiederbringlicher Schatz. Dazu führte Silke von Bremen für die Bürgerinitiative »Merret reicht’s« aus: »Wir müssen verstehen, dass es unsere Kommunalpolitik vor Ort ist, die Anreize für Investoren schafft. Die Kommunalpolitik ermutigt manchmal zu solchen Taten, weil es keine Konsequenzen gibt.« Und verweist auf den Abriss des ältesten Hauses in Westerland vor vier Jahren. »Es gibt auf Sylt kein beharrliches, zielstrebiges Handeln, um uns vor derartigen Schaden zu bewahren und nichts, um den Investoren deutlich zu machen, bis hierhin und nicht weiter. Es ist kein Kavaliersdelikt, es ist die mutwillige Zerstörung von Kulturgut. Und interessanterweise ist es rechtlich gesehen ein Vergehen gegen die Bevölkerung, ein Vergehen gegen uns, denn Zeugen unseres kulturellen Gedächtnisses werden rücksichtslos zerstört bis hin zur vollständigen Auslöschung der Erinnerung unserer Kultur.«  Zum Abschluss stimmte sie ihren Vorrednern zu, dass der Alte Gasthof wirklich das allerletzte Haus auf Sylt sein muss, das für Profit geopfert wird. Danach übernahm Maren Jessen, 1. Vorsitzende Sölring Foriining, das Mikrofon und stellte fest, »dass unser Sylter Kulturgut auch weiterhin ungeschützt der Gewinnmaximierung skrupelloser Menschen ausgesetzt ist und dass die zuständigen Behörden tatenlos zusehen, wenn ohne Legitimation Häuser niedergerissen oder dem Verfall preisgegeben werden, die von einer mehr als 300-jährigen Geschichte Zeugnis ablegen können«. Sie nutzte die Mahnwache auch, um noch einmal auf die Probleme am Denghoog hinzuweisen. 

Alle anwesenden Sylter Bürger*innen, Unternehmer*innen und Politiker*innen waren sich einig, es muss ein Kurswechsel kommen. »Das heißt zum einen, Bebauungspläne zu prüfen und zu überarbeiten und die bisherige Marschroute zu ändern. Das heißt zum anderen auch, tatsächliche Konsequenzen für den Eigentümer des abgerissenen Gebäudes folgen zu lassen«, erklärt Margot Böhm, Mitglied im Kreistag Nordfriesland und in der Gemeindevertretung für die Grünen. 

Am 14. Mai 2023 sind Kommunalwahlen. Bis dahin haben die Parteien Zeit, zu zeigen, wie ernst es ihnen ist.