Roma e Tosca

Fliegen lernen

Heute erkläre ich, wie das Fliegen funktioniert. Es ist einfach und schwer zugleich, so wie die meisten Dinge im Leben. Leonardo da Vinci (1452 – 1519) ist darüber gescheitert, er dachte zu kompliziert. Es braucht nur ein großes Stück Stoff mit kleinen Luftkammern, die man aufpumpt, federleicht, und Strippen zu dem Menschen nach unten, eine Portion Wind … schon hebt man ab.

So entstand das Kite-Surfen, beinahe exakt ein halbes Jahrtausend später, 1984 wurde das erste Patent angemeldet. Doch genug der Vorgeschichten, nun beginnt mein eigenes Flugexperiment. Ich werfe meine Weste in die Luft, es geht eine leichte Brise, türkisfarbene Wellen mit kleinen Schaumkronen, kein Mensch weit und breit. Für den Bruchteil einer Sekunde scheint das Teil aus einem alten Matten-Kite am blauen Himmel zu verharren. Dann fällt es zurück auf die Erde. Es muss mir »nur« noch Ähnliches gelingen, bin kein Leichtgewicht: 1,65 m groß, 58 kg schwer + Bluse 78g, Rock 140g, Sonnenbrille 8g, Fernauslöser für das Handy 2g, kein Schmuck, keine Schuhe.

Fliegen war schon als Kind mein Traum, nicht in einer riesigen Blechdose, die man Flugzeug nennt, so wie eine Fee oder wie eine gute Hexe, einfach abheben. Ich versetze mich in dieses wortwörtlich »unbeschwerte« Gefühl und nehme Anlauf … Ha! Es funktioniert. Ich fliege! Der pinkfarbene Rock schwingt lustig zu den Seiten, die Arme ragen weit über den Bildrahmen hinaus. Und gleich noch mal von der anderen Seite. Der Pfeil ist der Beweis: Zirka zehn Zentimeter liegen zwischen dem Strand und mir, das ist nicht viel, aber ausreichend viel, um sich schwerelos zu fühlen.

Zwischendurch eine Landung, um sich wieder zu erden, zu sammeln für den nächsten Höhenflug, die Hand auf dem Boden, die Füße, die sich in den feuchten Sand eingraben, die Weste samt Kapuze um mich herum wie Zelt und Schlafsack in einem.

Wie sagte ein väterlicher Freund einmal zu mir: mit ein wenig Luft unter den Füßen beginnt die Fhantasie zu fliegen. Einfach ein wenig Ballast abwerfen, in so ein schönes Kite-Westen-Teil schlüpfen und »up« geht’s. Keine Sorge, es muss nicht beim ersten Mal gelingen, und auch nicht beim zweiten, aber irgendwann im Leben: einmal fliegen!

Birgit Gräfin Tyszkiewicz