Roma e Toska

Eine Familiengeschichte
und ein Krieg

Wir sitzen am Frühstückstisch, wir sitzen am Abendtisch, draußen wird es langsam Frühling, trotzdem sind die Gespräche ernst. Es geht um die Ukraine und gleichzeitig um die Geschichte unserer Familie. Es ist verworren, kompliziert sind die Verflechtungen über die Jahrhunderte. Mein Mann, Krzysztof Graf Tyzkiewicz Kalenicki zu Lohojsk und Berdyczew, erzählt …

1437 gibt es die erste Eintragung der Tyszkiewicz, begütert in dem Gebiet von Shitomir und Owrucz. Beide Orte liegen in der heutigen Ukraine, der erste östlich von Kiew, der andere an der Grenze zu Weißrussland, es wird dort seit ein paar Tagen gekämpft, Mitten in Europa.

1569 sind die Tyszkiewicz maßgeblich an der Union von Polen und Litauen (samt Gebieten von Rus/Ukranie) beteiligt und erhalten den Grafentitel. Das erste Stammschloss der Familie wird in Berdyczew errichtet, der Stadt aus dem 14. Jahrhundert in der jetzigen Ukraine südwestlich von Kiew. Die Lithographie aus dem frühen 19. Jahrhundert hängt neben meinem Schreibtisch.

Das zweite Stammhaus Lohojsk entstand nördlich von Minsk im heutigen Weißrussland (auch auf Putins Wunschliste). In Spiczynce, nahe Lemberg, wurde der Vater meines Mannes geboren, seine Mutter nicht weit davon entfernt in Lemberg (heute Lwiw).

1919 führten die Polen einen brutalen Besitzanspruchskrieg gegen die Ukrainer, die sich gerade zu einer Volksrepublik geformt hatten. Die Polen wurden durch die Sowjetarmee zurückgedrängt, große Teile der östlichen Gebiete wurden von den Russen einverleibt. Die meisten der Besitztümer der Familie gingen verloren.

Und nun zu heute: Wer schießt auf wen? Brüder gegen Brüder. Sie teilen eine Geschichte, auch wenn sie unterschiedliche Sprachen, Schriftzeichen und Glaubensrichtungen besitzen. Die einen fühlen sich mit Polen eng verbunden, die anderen mit Russland. Geformt haben sie aber einen unabhängigen souveränen demokratischen Staat, dessen Territorium seit vier Tagen brutal angegriffen wird. Wir und die Menschen auf allen Seiten der Grenze wollen keinen Krieg. Wir wollen in Frieden leben, Seite an Seite leben, Handel treiben im kulturellen Austausch miteinander.  

Mein Mann wird in diesen Tagen im Kapitänshaus sein. Sein Fachgebiet ist die Keramik und die Kunst, und was wäre Roma e Toska ohne ihn und seine Geschichten.

Birgit Gräfin Tyszkiewicz