Roma e Toska

Sub specie aeternitatis
(Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit)

Die Insel ist leerer als sonst, die Hotels und Restaurants bleiben geschlossen. Die nächste Lockdown-Welle hat uns erreicht, und wieder einmal gilt, möglichst fantasievoll der ausgebremsten Zeit zu begegnen.
In den vergangenen Wochen habe ich immer montagmittags mit der Kunsthistorikerin Dr. Karen Michels zusammen gegessen, um beispielsweise über »Ernst Haeckel und Spinoza« zu sprechen. Die Vorträge dazu mussten wir absagen, schieben wir sie in das nächste Jahr und schaffen uns stattdessen am Tisch zwischen Bildern, Objekten und Mode eine Sternstunde der Philosophie und Kunstgeschichte. Wir sind kurz mal aus der Zeit herausgesprungen, um uns gegenseitig etwas zu gönnen, was mit Geld nicht zu bezahlen ist: Wissen und Gedanken austauschen.

Der Ort gibt die richtige Atmosphäre vor, es ist die erste Reformsynagoge der Welt oder besser das, was noch von ihr übrig geblieben ist. 1844 errichtet, Felix Mendelsohn komponierte das Eröffnungskonzert, 1931 säkularisiert, wenig später unter Zwang verkauft und 1944 von einer Brandbombe größtenteils zerstört. Die Stadt hat soeben von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Es stehen noch die Absis und das vordere Teil, in dem die Orgel stand und der Chor sang. Genau dort sitzen Karen und ich, und sie nimmt mich an die Hand, um in einem großen Bogen durch die Kunstgeschichte zu wandern bis hin zu meinem aktuellen Kollektionsthema: Ernst Haeckel.
»Sub specie aeternitatis« (Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit). Es war der Kunsthistoriker Erwin Panofsy (1892 – 1968), der seine Briefe regelmäßig mit dieser Floskel enden ließ. Manchmal schrieb er auch nur: Liebe Grüße von Haus zu Haus. Wir könnten es ihm nachmachen und ähnlich an unsere Liebsten denken.
Panofsky ist unser Held, der Einstein der Kunstgeschichte. Karen habilitierte über ihn und die jüdischen Kunstwissenschaften, mir brachte er mit seinen Schriften das Sehen bei. Der Satz unter seinen Briefen stammt von dem berühmten Philosophen des 17. Jahrhunderts. Spinoza suchte während seines ganzen Lebens hinter der individuellen Erscheinung das Wesentliche, die Substanz der Dinge und damit »Gott oder die Natur«. Hoch modern fragte er schon als junger Mann von gerade mal Anfang zwanzig: Was ist Gott? Und was ist ethisches Handeln? Und wie bekomme ich beides in meiner Wahrnehmung wieder zusammen? War klar, dass die jüdische Gemeinde von Amsterdam nicht Hurra schrie, sondern ganz im Gegenteil ihn aus ihrem Kreis verbannte.
Spinoza hatte einen großen Zeitgenossen, der mit den Mitteln der Kunst das Gleiche anstrebte, das Göttliche hinter dem Individuellen suchen: Rembrandt. Wie kein anderer, vermochte er, mit Pinsel und Stift die Eigenarten der Personen festzuhalten, ihre Gesichtszüge, die fragenden Augen, die zarten Gesten. Vom Kleinen zum Großen denken und dabei die Essenz finden, … unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit.
Wir sind bei Ernst Haeckel (1834 – 1919), der in den keinsten Wesen das Universelle sah mit einem göttlichen Prinzip, den Quallen und Einzellern, die er ab der Mitte des letzten Jahrhunderts erforschte. Es ist mein Kollektionsthema und die Blusen mit seinen Motiven hängen im Geschäft in Kampen, wo gerade keiner reinkommen darf. (Wer Lust hat, bestellt online und holt es sich wie unser Essen als Take Away mit nach Haus! Es wäre eine Option).
Das Zitat auf dem Hangtag der Edition fasst zusammen, was wir beiden Kunsthistorikerinnen uns plaudernd über den Mittag erzählt haben:
»Wir können Schönheit nur wieder verstehen, wenn wir uns nicht länger der Frage verschließen, was Leben ist.« Ich könnte jetzt abschließen mit Sub spezie aeternitatis (ein Satz, der auf ewig gültig bleibt).
Und nun ist Weihnachten, das Jahr geht zu Ende, ein 2020, wie wir es uns nicht vorgestellt haben. Ich schreibe jeden Tag in meinem Blog und packe (Auswahl-) Pakete, geschmückt mit Weihnachtskugeln und Kärtchen. Und abends sitzen wir zusammen unter dem Reetdach. Mein Mann, der Graf, kocht, Toska (23) aus Berlin wird da sein, natürlich Sam, der Hund, nur Roma (26) muss in Toulouse bleiben. Es ist wohl so, in diesem Jahr, das so anders ist. Aber wir sind verbunden über das, was uns ausmacht: Familie!

Frohe Weihnachten.
Ein gutes Neues Jahr und
vor allem: bleibt gesund!

Birgit Gräfin Tyszkiewicz